«Ich musste darum kämpfen, dass die Krankenkasse die Chemotherapie meines Sohnes bezahlt»
Gespräch mit Alessia B., betroffene Mutter
Die Medikamentenkosten für krebskranke Kinder werden nicht immer automatisch von der Krankenkasse oder der IV übernommen. Diese Erfahrung machte auch Alessia B., deren Sohn mit drei Jahren an Leukämie erkrankte. Obwohl das Kind gemäss einem in der Schweiz zugelassenen Behandlungsprotokoll behandelt wurde, weigerte sich ihre Krankenkasse anfänglich, die Kosten für einen Teil der Behandlung zu übernehmen. Wie andere Eltern, musste Alessia B. darum kämpfen, dass die Kosten für die lebensrettende Behandlung ihres Kindes schliesslich übernommen wurden.
Was genau ist da geschehen?
Als unser jüngster Sohn drei Jahre alt war, haben die Ärzte bei ihm eine akute lymphoblastische Leukämie (ALL) diagnostiziert. Von einem Tag auf den anderen wurde das ganze Familienleben auf den Kopf gestellt. Es war, als hätte uns ein Tsunami überrollt, wir waren völlig verloren. Um den Krebs zu besiegen, musste Damien eine Intensivbehandlung über sich ergehen lassen, zuerst stationär, dann zu Hause. Es war eine sehr schwierige Zeit für uns und wir hatten große Angst um ihn. Der Kinderonkologe hatte ihm eine orale Chemotherapie verordnet, die ein Medikament enthielt, das er täglich einnehmen musste, und noch ein weiteres Medikament, das er einmal in der Woche bekam. Hinzu kamen Kortison, Antibiotika sowie eine Lumbalpunktion, alle zwei bis drei Monate. Man muss dazu sagen, dass die meisten Krebsmedikamente eigentlich für Erwachsene entwickelt worden sind. Kleinkinder wie Damien sind noch zu jung, um die Chemotherapiekapseln zu schlucken, und sie brauchen einen Sirup, der eine genaue Anpassung der Dosierung auf das Gewicht des Patienten ermöglicht. Da es diesen Sirup in der Schweiz nicht gibt, wurde er von der Krankenhausapotheke zubereitet. Unsere Krankenkasse hat die Übernahme der Kosten für die Lösung abgelehnt, obwohl sie für die Behandlung entscheidend war.
Wie hat die Krankenkasse diese Ablehnung begründet?
Die Kasse hat uns mitgeteilt, dass das Medikament als Sirup, im Gegensatz zu den Kapseln, nicht auf der Spezialitätenliste* der erstattungsfähigen Arzneimittel stehe. Ein anderes Medikament, dessen Übernahme sich als schwierig erwies, war ein antivirales Mittel gegen Windpocken. Die Kosten dafür werden normalerweise von der Kasse getragen, Damien aber musste das prophylaktisch einnehmen, weil er Kontakt mit einem Kind mit Windpocken hatte, und weil die Nutzung von dem Standardfall abwich, wurde uns die Erstattung verweigert. Man sollte sich der Tatsache bewusst sein, dass das Immunsystem von Damien zu diesem Zeitpunkt von der Chemotherapie so geschwächt war, dass Windpocken für ihn tödlich hätten sein können. Im Krankenhaus habe ich erfahren, dass solche Ablehnungen leider häufig vorkommen und dass die Ärzte einen nicht unerheblichen Teil ihrer Arbeitszeit damit verbringen, Einsprüche zu verfassen und Formulare auszufüllen, damit die Kosten für lebenswichtige Arzneimittel erstattet werden.
Welche Schritte wurden unternommen, damit die Krankenkasse schließlich die Kostenübernahme akzeptierte?
Ich musste die Krankenkasse wiederholt anrufen und Damiens Onkologe lieferte der Versicherung zahlreiche Erklärungen, um endlich die Kostenübernahme für zwei Medikamente zu erreichen. Hinzu kam noch, dass die Garantie für die Übernahme der Chemotherapiekosten nur für drei Monate galt und nach dieser Zeit neu bewertet werden musste. Das hat unseren Stress und unsere Wut als Eltern nur noch verstärkt, es war für uns völlig unverständlich, weil Damien im Krankenhaus nach internationalen Behandlungsprotokollen therapiert wurde, die in der Schweiz anerkannt waren und er bekam eine Chemotherapie, die für seine Genesung unverzichtbar war. Außerdem mussten wir während der Therapie das Arzneimittel wechseln, weil die Kostenübernahme für die ursprüngliche Chemotherapie nicht mehr garantiert war, dafür aber für ein Medikament aus Deutschland, das dreimal so teuer war.
Wie haben Sie darauf reagiert?
Wenn ein Kind an einer tödlichen Krankheit wie Krebs leidet, sind die Eltern völlig am Boden zerstört. Das Leben gerät von jetzt auf gleich aus den Fugen. Es darf nicht sein, dass in dieser extremen Notlage, wo das Überleben des Kindes auf dem Spiel steht, noch um die Kostenübernahme für die Therapie gekämpft werden muss. Ganz im Gegenteil, man braucht in dieser besonders schwierigen Situation Hilfe und Unterstützung. Ich hatte das Gefühl, dass unsere Krankenkasse die Schwere der Krankheit von Damien gar nicht erkannte. Das war sehr schwer zu ertragen und ich habe sehr darunter gelitten. Wir haben Glück gehabt, dass die Medikamentenkosten zurückerstattet wurden, das ist aber nicht immer der Fall. Für mich ist das aktuelle System daher sehr zeitraubend und ungerecht. Ich wünsche mir, dass das Gesetz in Zukunft die automatische Erstattung aller Medikamentenkosten, die im Rahmen dieser Behandlungsprotokolle verschrieben werden, vorschreibt. Es ist ebenfalls von grundlegender Wichtigkeit, dass die Kinder einen leichteren Zugang zu innovativen Therapien erhalten, die ihnen das Leben retten können. Jedes krebskranke Kind sollte das Recht auf die bestmöglichen Heilungschancen haben.
* Nur wenn ein Arzneimittel auf der sogenannten Spezialitätenliste steht und von einem Arzt verschrieben wurde, müssen die Krankenkassen die Kosten dafür übernehmen. Wenn allerdings ein Medikament, das nicht auf dieser Liste steht, oder ein in der Schweiz noch nicht zugelassenes Mittel verschrieben wird, muss man einen Antrag auf Erstattung in einem Ausnahmefall (Off-Label-Use) an die Kasse richten. Zur Zeit sind ungefähr 90% der Krebsmittel für Kinder und Jugendliche davon betroffen, weil ihre Nutzung nicht oder nur teilweise mit der erforderlichen Indikation auf der Spezialitätenliste übereinstimmt.