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«Eltern mit einem krebskranken Kind benötigen vielfältige Unterstützung»

Interview mit Angela Engel, Sozialarbeiterin am Kantonsspital Aarau

Interview mit Angela Engel

Angela Engel arbeitet am Kantonsspital Aarau*, einem der neun hochspezialisierten kinderonkologischen Zentren der Schweiz. Als Sozialarbeiterin betreut sie Familien mit einem krebskranken Kind. Sie kennt die vielen Herausforderungen, mit denen die Betroffenen kämpfen und wünscht sich mehr Verständnis und Toleranz für sie.

Frau Engel, Sie unterstützen Eltern krebskranker Kinder. Wie muss man sich das vorstellen?

Unsere Aufgabe als Sozialdienst besteht darin, dass wir Eltern in schwierigen Situationen beratend unterstützen und für Entlastung sorgen. Wir werden bereits relativ früh nach der Diagnosestellung miteinbezogen, schauen uns die jeweilige familiäre Situation des Kindes an und besprechen im Behandlungsteam, wo und wie wir am besten helfen könnten. So unterschiedlich die Familienmodelle heutzutage sind, so unterschiedlich sind auch die Herausforderungen, mit denen Eltern durch die plötzliche Krankheit ihres Kindes konfrontiert sind. Wir versuchen, mit den Betroffenen über ihre Sorgen und Nöte zu sprechen und Unterstützung dort anzubieten, wo sie am dringendsten gebraucht wird. Idealerweise frühzeitig genug, um zu verhindern, dass Eltern unter der Belastung zusammenbrechen, weil sie über Monate hinweg keine Verschnaufpause mehr bekommen.  

 

Was genau sind Ihre Aufgaben?

Bei einer so lebensbedrohlichen Erkrankung wie Krebs sind die Herausforderungen sehr vielfältig. Die Therapie kann sich über mehrere Monate und Jahre hinziehen, der Erfolg der Behandlung ist ungewiss und es können zum Teil gravierende Spätfolgen bleiben. All das durchzuhalten erfordert viel Kraft, einen langen Atem und einen bewussten Umgang mit den eigenen Ressourcen. Unsere Aufgaben sind sehr breit gefächert und reichen von praktischen Dingen, wie dem Organisieren einer Haushaltshilfe oder eines Besuchsdienstes für das kranke Kind, über Gespräche mit dem Arbeitgeber, dem Beantragen von finanziellen Hilfen bis hin zur Klärung wichtiger sozialversicherungsrechtlicher Fragen. Oftmals hilft es aber auch, einfach zuzuhören. Denn vielen Eltern tut es gut, offen und ehrlich über ihre Situation und ihre Ängste sprechen zu können.

 

Was sind die drängendsten Probleme, mit denen Familien konfrontiert sind?

Eltern mit einem krebskranken Kind benötigen vielfältige Unterstützung. Viele wissen zu Beginn der Diagnose nicht, was genau auf sie zukommt. Neben der grossen Sorge um das Kind tauchen meistens schnell Existenzängste auf, weil eine «normale» Berufstätigkeit wie vor der Krankheit auf unbestimmte Zeit nicht mehr möglich sein wird. Hinzu kommen praktische Fragen, die sich um die Organisation des Alltags, die Schule oder die Betreuung der Geschwisterkinder drehen. Diese Themen können sehr komplex sein, da viele Familien längst nicht mehr nach dem «klassischen» Vater-Mutter-Modell funktionieren. Je nach Familienform, ob Alleinerziehend, Patchworkfamilie oder Co-Elternschaft, ändern sich die spezifischen Voraussetzungen und Möglichkeiten, wie der Alltag mit einem kranken Kind organisiert und bewältigt werden kann.

 

Sind finanzielle Probleme in Zusammenhang mit der Krankheit ein häufiges Thema?

Ja, die Frage der Finanzen kommt relativ rasch auf. Denn auf der einen Seite steigen krankheitsbedingt die monatlichen Ausgaben, während auf der anderen das Einkommen in der Regel sinkt. Meistens ist es so, dass zumindest ein Elternteil die komplette Therapiezeit über nicht oder nur sehr reduziert arbeiten kann. Dazu muss man auch wissen, dass sich die Entschädigung beim Betreuungsurlaub auf 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens beläuft. Ist das Haushaltsbudget bereits ohnehin sehr knapp, geraten die betroffenen Familien schnell in eine finanzielle Notlage. Alleinerziehende trifft es dementsprechend besonders hart. Ein weiterer Risikofaktor sind die vielen krankheitsbedingten Mehraufwände, zum Beispiel für die Fahrt, das Parkieren, die auswärtige Verpflegung und Übernachtung oder die Betreuung der Geschwisterkinder. Kranksein in der Schweiz ist teuer und häufig kommen die Versicherer nicht oder nur teilweise für diese Kosten auf. Aus diesem Grund klären wir gleich zu Beginn immer die sozialversicherungsrechtliche Situation der Familie ab. Wir überprüfen, ob und welche Leistungen von der Kranken- oder Invalidenversicherung übernommen werden. In der Praxis ist die Situation leider häufig ernüchternd. So gibt es zum Beispiel kein Recht auf eine Haushalthilfe, um Eltern zumindest in der Intensivphase der Krankheit zu entlasten. Vielmehr sind es Stiftungen und Vereine, die einspringen, wenn Familien finanzielle Hilfe benötigen.

 

Wie sieht die arbeitsrechtliche Situation aus und wie gehen Arbeitgeber mit dem Thema um?

Seit 2021 haben Eltern Anspruch auf 14 Wochen Betreuungsurlaub, um ihr schwer krankes Kind zu pflegen. Auch wenn die rechtliche Situation eindeutig ist, ist die Unsicherheit im Umgang mit dem Thema je nach Unternehmen verschieden gross. Wenn es Probleme gibt, suchen wir das Gespräch mit dem Arbeitgeber, vermitteln zwischen ihm und dem Elternteil und helfen manchmal bei der Antragstellung für den Betreuungsurlaub. In unserer Praxis erleben wir alles. Manche Eltern haben das grosse Glück, einen sehr verständnisvollen und gut informierten Arbeitgeber zu haben, während andere mit viel Unverständnis und wenig Toleranz hinsichtlich ihrer schwierigen Situation zu kämpfen haben. Die Realität sieht also sehr unterschiedlich aus und nicht immer gibt es einfache und schnelle Lösungen.  

 

Wie könnten Arbeitgeber helfen?

Eltern mit einem krebskranken Kind befinden sich in einer absoluten Extremsituation und sind vielfach überfordert. Manche wissen nicht, wie sie mit ihrer Chefin oder ihrem Chef über ihre schwierige Lage und den Anspruch auf Betreuungsurlaub sprechen sollen. Zwar sind die 14 Wochen hilfreich, sie reichen aber leider bei weitem nicht aus. Zudem nimmt das Verständnis der Arbeitgeber erfahrungsgemäss nach einigen Monaten stark ab. Der Umgang mit dem Thema Kinderkrebs ist schwierig und macht Angst. Umso wichtiger ist deshalb ein offener und ehrlicher Dialog zwischen den Beteiligten. Um betroffene Eltern in dieser Situation zu entlasten, wären weniger Druck und eine grössere Offenheit für flexiblere Arbeitszeitmodelle seitens der Arbeitgeber wünschenswert.

 

Wie können Eltern mit einem krebskranken Kind sonst noch unterstützt werden?

Ein wichtiger Aspekt ist sicherlich die Entlastung im Alltag und die Betreuung der gesunden Geschwisterkinder. Diese leiden ebenfalls mit und kommen in der Regel zu kurz. Ihre Eltern sind häufig abwesend und das Familienleben dreht sich nur noch um die kranke Schwester oder den kranken Bruder. Hier kann das Umfeld, seien es die Grosseltern, andere Verwandte oder Freunde und Eltern von Schulkameraden, eine wichtige unterstützende Rolle spielen. Was die Organisationen des Alltags anbelangt, so versuchen viele Eltern zumindest anfänglich ohne grössere Hilfe von aussen auszukommen. Aber wenn sich die Wäscheberge anhäufen, seit Wochen keine richtige Mahlzeit mehr auf dem Tisch steht und keiner mehr Zeit hat, mit den gesunden Geschwisterkinder die Hausaufgaben zu machen, wird irgendwann klar, dass es so nicht weitergehen kann. Dann versucht der Sozialdienst mit dem Einverständnis der Familie Unterstützung von aussen zu finden, zum Beispiel in Form einer Haushaltshilfe, die über einen Verein oder eine Stiftung finanziert wird.

 

Was kann das Umfeld konkret tun?

Gerade Mütter, die nach wie vor die Hauptlast in der Pflege und im Haushalt tragen, geraten oft an ihre Grenzen. Leider kommt in diesem Ausnahmezustand häufig die Selbstfürsorge zu kurz. Sie ist aber eine wichtige Voraussetzung, um diese Extrembelastung über viele Monate und manchmal Jahre hinweg aushalten zu können. Was den Betroffenen neben der professionellen Unterstützung sehr hilft, ist ein Umfeld, das sie über die Länge der Zeit begleitet und im Alltag entlastet. Das können ganz einfache Dinge sein, wie zum Beispiel Einkaufen gehen, Wäsche waschen, sich um das gesunde Geschwisterkind kümmern, Mahlzeiten kochen, einen Spitalbesuch übernehmen und vieles mehr.

 

 

* Die Kinderonkologie des Kinderspitals Aarau gehört zu den 9 Zentren in der Schweiz, die krebskranke Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der hochspezialisierten Medizin (HSM) behandeln dürfen.  Seit dem Jahr 2023 erfüllt die Abteilung des KSA Kinderspitals Aarau auch die hohen Anforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) an ein kinderonkologisches Zentrum. Das KSA Kinderspital Aarau gehört damit zu den drei einzigen DKG-zertifizierten kinderonkologischen Zentren in der Schweiz.

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