Hirntumore bei Kindern und Jugendlichen
Alle Neubildungen, die im zentralen Nervensystem entstehen, werden als Hirntumore bezeichnet. Diese lassen sich für die Prognose und Behandlung in unterschiedliche Grade einteilen: von Grad 1 mit sehr langsam wachsenden Tumoren bis zu Grad 4 mit schnell wachsenden Tumoren, die häufig Metastasen bilden. Hirntumore bei Kindern und Jugendlichen zählen mit circa 20 bis 25 Prozent zur zweithäufigsten Tumorart in dieser Altersklasse. Weil das zentrale Nervensystem aus Gehirn und Rückenmark besteht, kann ein Hirntumor sowohl das Gross- und Kleinhirn als auch den Hirnstamm befallen. All diese Aspekte beeinflussen die Wahl der Behandlung, die Heilungschancen und die möglichen Spätfolgen. Die Ursachen für die Entstehung eines Hirntumors sind – ähnlich wie bei anderen Kinderkrebsarten – grösstenteils noch nicht eindeutig geklärt, aber genetische und vererbbare Erkrankungen zählen zu den Faktoren.
«Ich wünsche mir konkrete Angebote und Massnahmen für den Einstieg ins Arbeitsleben»
Delia Mazuret, Survivorin
Die häufigsten Symptome
Die Symptome und klinischen Zeichen eines Hirntumors hängen von seiner Art und Lage sowie vom Alter des Kindes ab. Zu den häufigsten Krankheitsanzeichen gehören unter anderem Kopfschmerzen, Erbrechen auf nüchternen Magen, Gleichgewichtsstörungen, Sehstörungen wie Doppelbilder oder Schielen und Wesensveränderungen. Bei schnell wachsenden Hirntumoren sind die Anzeichen oft akut, bei langsam wachsenden eher allmählich sichtbar. Wenn bei Säuglingen der Kopfumfang unverhältnismässig schnell zunimmt oder ältere Kinder und Jugendliche über zunehmende oder sich ändernde Kopfschmerzen klagen, sollte auf jeden Fall eine medizinische Abklärung gemacht werden.
Behandlung und Heilungschancen
Die Behandlung von Hirntumoren ist komplex. Deshalb braucht es ein interdisziplinäres Ärzteteam, das über die Art der Therapie und Eingriffe entscheidet. Zu den klassischen Therapiemöglichkeiten zählen, neben der operativen Entfernung des Tumors, Bestrahlungen und Chemotherapien. Neuere Diagnostikverfahren, mit denen zum Beispiel die Biologie eines Tumors besser verstanden werden kann, machen immer gezieltere Behandlungen der Patienten möglich. Während bei niedriggradigen Tumoren eine Operation ausreichend sein kann, sind bei hochgradigen Tumoren weitere Behandlungsschritte in Form von Strahlen- und Chemotherapie notwendig. Insgesamt haben sich die Heilungschancen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verbessert, je nach Tumorart sind die Unterschiede aber beträchtlich. Moderne Krebstherapien zielen darauf ab, sowohl die Überlebenschancen zu erhöhen als auch mögliche Spätfolgen zu reduzieren.
«Ich nehme jeden Tag wie er ist, und mache das Beste daraus»
Monika Fahrny, Mutter eines Survivors
Spätfolgen und Lebensqualität
Bei einem Hirntumor ist das Risiko, an Spätfolgen zu leiden, im Vergleich zu anderen Kinderkrebsarten, gesamthaft am höchsten. Diese reichen von leichten Lern- oder Verhaltensstörungen bis hin zu schweren körperlichen oder geistigen Behinderungen. Das Ausmass und die Schwere dieser Spätfolgen hängen stark von der Art des Tumors, vom Alter des Kindes und von der Behandlung ab. Manchen Kindern gelingt es, mithilfe gezielter Rehabilitationsmassnahmen alle Fähigkeiten zurückgewinnen, andere wiederum bleiben in ihrer Entwicklung und damit auch in ihrer Lebensqualität eingeschränkt. Ähnlich wie bei anderen Kinderkrebsarten können die Spätfolgen der Krankheit und Therapie die Organfunktionen beeinträchtigen sowie hormonelle Störungen und Unfruchtbarkeit verursachen. Weitere Risiken sind Konzentrationsschwierigkeiten und psychische Spätfolgen bis hin zu Depressionen. Weil bei Hirntumor-Survivors auch die geistige Leistungsfähigkeit betroffen sein kann, benötigen sie eine Nachsorge, die nicht nur medizinische, sondern auch psychosoziale und berufliche Aspekte beinhaltet.
Ein Leben nach Hirntumor
Die Diagnose «Hirntumor» stellt das Leben der Betroffenen von einem Tag auf den anderen auf den Kopf und konfrontiert sie mit grossen Herausforderungen. Auch nach einer erfolgreichen Behandlung kann sich die Lebenssituation der ganzen Familie bleibend verändern. Wenn eine Rückkehr in das alte Leben aufgrund der Spätfolgen nicht mehr möglich ist, kommen viele Fragen in Bezug auf die schulischen und beruflichen Perspektiven auf. Manchmal wissen Eltern und Survivors nicht, wohin sie sich wenden können und welche Hilfen ihnen zustehen.
Auch wenn es vielen Survivors gelingt, trotz ihrer Einschränkungen, eine Ausbildung zu absolvieren, ist es nicht immer möglich, eine Stelle auf dem regulären Arbeitsmarkt zu finden. Und manche merken erst nach Jahren, dass ihre Leistungsfähigkeit nachlässt, weil die Spätfolgen zunehmen. Eltern wiederum, deren Kinder nie auf eigenen Beinen stehen und finanziell unabhängig sein können, sind ein Leben lang gefordert und fühlen sich oft alleine gelassen. Deshalb braucht es dringend mehr Anlaufstellen, die Survivors und ihre Eltern psychologisch und sozialrechtlich beraten sowie wirksame und langfristige Unterstützung bei der beruflichen Integration und im Arbeitsleben anbieten.
Die Stimmen der Experten
«Das Sozialversicherungssystem kann ein richtiger Dschungel sein»
Franziska Lüthy von Procap
«Ohne klinische Forschung würden viele Kinder mit einem Gehirntumor ihre Erkrankung nicht überleben»
Dr. med. Katrin Scheinemann
Kinderkrebsforschung:
Perspektiven für die Zukunft
Ohne die klinische Forschung würden viele Kinder mit einem Hirntumor ihre Krankheit nicht überleben. Dank ihr konnte die Medizin so grosse Fortschritte in der Behandlung und Prognose machen. Die klinische Forschung zielt darauf ab, sowohl die Überlebenschancen zu verbessern, als auch die Spätfolgen zu verringern. Ein Beispiel sind verbesserte Bestrahlungsmöglichkeiten wie die Protonentherapie, die gesunde Hirnareale weniger belastet. Technische Innovationen und verbesserte Diagnostikverfahren werden in Zukunft gezieltere und damit schonendere Therapien ermöglichen.
Da Hirntumore wie auch andere Kinderkrebsarten zu den seltenen Krankheiten gehören, findet diese Forschung im Rahmen von internationalen Studien statt. Die Ergebnisse, die daraus gewonnen werden, helfen den Ärzten, die betroffenen Kinder gezielter zu behandeln und damit das Risiko von Spätfolgen möglichst gering zu halten. Auf diese Weise profitieren auch junge Hirntumor-Patienten in der Schweiz von den weltweit innovativsten Krebstherapien.